Seminar für Orientalische Archäologie und KunstgeschichteMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Altertumswissenschaften
Seminar für Orientalische Archäologie und Kunstgeschichte
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Aus 55 Jahren Geschichte des Instituts für Orientalische Archäologie und Kunst (1948-2003)
 

Talisman in Karneol: Der Hallenser Wilhelm Dorow am Anfang der Orientalischen Archäologie
von Markus Mode

Goethe, Dorows Zylinder, Dorow

 

Talisman in Carneol
Gläub'gen bringt er Glück und Wohl;
Steht er gar auf Onyx Grunde,
Küß ihn mit geweihtem Munde!
Alles Übel treibt er fort,
Schützet dich und schützt den Ort:
Wenn das eingegrabne Wort
Allahs Namen rein verkündet,
Dich zu Lieb' und That entzündet.
Und besonders werden Frauen
Sich am Talisman erbauen.

Diesen berühmten Anfang der Goetheschen "Segenspfänder" aus dem "West-östlichen Divan"(1) stellt Wilhelm Dorow als Motto über das im Jahre 1820 erschienene erste Heft seiner "Morgenländischen Alterthümer."(2) Der Titel jener Schrift ist für den vorliegenden Sammelband kleiner Beiträge aus dem Seminar für Orientalische Archäologie und Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchaus absichtsvoll erneut aufgegriffen worden.

Die Gründe hierfür liegen in der Tatsache, daß Wilhelm Dorow ein Hallenser - wenn auch nur ein Wahl-Hallenser, der schließlich hier verstarb - gewesen ist und daß er sich zumindest zeitweilig sehr für altorientalische Kunstwerke interessiert hat. Wie der Bezug auf die Segenspfänder im übrigen schon andeutet, spielt in diesem Zusammenhang auch niemand geringerer als Goethe selbst eine Rolle, was m. W. bisher in der Literatur fast völlig übersehen worden ist. Wir werden auf die näheren Umstände noch kurz zu sprechen kommen.

Abb. 1: Wilhelm Dorow (1790-1845) (click-zoom)

Der pensionierte Königlich Preußische Hofrat Dr. Carl Friedrich Ferdinand Wilhelm Dorow(3) verschied am 16. Dezember des Jahres 1845 in Halle an der Saale. Er wurde 55 Jahre und neun Monate alt und starb an Entkräftung, wie man einer lakonischen Meldung im hiesigen "Patriotischen Wochenblatt zur Beförderung gemeinnütziger Kenntnisse und wohlthätiger Zwecke" vom 27. Dezember 1845 entnimmt.(4)

Wer war Wilhelm Dorow, der fast völlig in Vergessenheit geriet und von dem, findet man ihn in gängigen Nachschlagewerken, kaum einmal das korrekte Todesdatum angegeben wird?(5)

Wilhelm Dorow ist einer der Wegbereiter des öffentlichen Museums in Deutschland gewesen. Er hat sich an den ersten tastenden Versuchen der altorientalischen Siegelkunde beteiligt und begründete eine der frühesten orientalistischen Zeitschriften in Deutschland. Wilhelm Dorow führte archäologische Ausgrabungen im Rheinland durch, war ein ausdauernder Sammler von Altertümern unterschiedlicher Art und veröffentlichte eine ganze Reihe von Monographien...

Das ist nicht gerade wenig - jedenfalls mehr als genug, um der Person Dorows mit den folgenden Bemerkungen ein wenig zu gedenken. Solcherart Notizen wollen und vor allem können keinen adäquaten biographischen Abriß ersetzen, für den das hier verfügbare Material ohnehin viel zu bescheiden ist.(6) Vielleicht aber geben diese Zeilen Anlaß für weitere und ertragreichere Studien, denn sowohl die personae dramatis als auch das zeitgenössische historische Umfeld und die wissenschaftsgeschichtliche Epoche böten dafür ein ebenso breites wie farbenfrohes Panorama.

Abb. 2: Reichardts Garten in Giebichenstein bei Halle (click-zoom)

Wilhelm Dorow wurde am 22. März 1790 in Königsberg geboren. Sein Vater, Jacob Friedrich Dorow, war verheiratet mit Sophie Reichardt, einer Schwester des berühmten Komponisten Johann Friedrich Reichardt.(7) An dieser Stelle werden natürlich viele der oben angedeuteten Bezüge schlagartig klarer. Es ist die Person des Onkels von Dorow, über die der gebürtige Ostpreuße mit der Stadt Halle, vornehmlich zunächst mit Giebichenstein und dem "Dichterparadies," der Residenz Reichardts, in Verbindung steht. Und natürlich verantwortet nämlicher Onkel auch den Kontakt Dorows zu Goethe.(8)

Bildnisse Dorows waren lange Zeit überhaupt nicht bekannt. Neuere Forschungen haben immerhin zur Auffindung wenigstens einer Porträtzeichnung geführt.(9) Andere Darstellungen Dorows stammen aus der Zeit seiner italienischen Reise (s. dazu unten): Es handelt sich zunächst um ein Ölgemälde und eine zugehörige Skizze, die die Dorow leider nur in Rückenansicht zeigen,(10) und schließlich gibt es noch zwei Karikaturen des Archäologen Dorow.(11)

Nach der Schulbildung und kaufmännischer Tätigkeit verließ Dorow 1811 Ostpreußen und langte im September bei Reichardt in Giebichenstein an. Empfehlungsschreiben öffneten ihm in Weimar die Türen bei Wieland und Goethe,(12) in Frankfurt bei den Arnims und Brentano.(13) Weiter ging es nach Paris.(14) Dort erlangte er Zugang zu diplomatischen Kreisen und kam alsbald nach Berlin in den Dienst des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg. Diese Fügung war für sein weiteres Leben von entscheidender Bedeutung.(15)

Im Jahre 1813 wurde Dorow Kriegsfreiwilliger in Lützows Freikorps, stieß im April in der Stadt Halle zu dem Korps des russischen Generals Winzingerode(16) und nahm am 2. Mai an der "Mordschlacht" von Großgörschen teil, wo er infolge eines Granateinschlages vom Pferd geworfen und eine schwere Quetschung und "Kontusion" der Brust erlitt.(17)

Nach verschiedenen Reisen und Dienstleistungen für Hardenberg kam Dorow im Juli 1817 zur Kur nach Wiesbaden, da ihm seine Kriegsverletzung dauernd zu schaffen machte. Hier nun begann er seine archäologischen Arbeiten(18) und Sammleraktivitäten, was Hardenberg bei einem Besuch im folgenden Jahr sehr beeindruckte, umso mehr, als Dorow den Kanzler für eine systematische Organisation der Altertumsforschung im preußischen Rheinland zu interessieren wußte. Bald darauf erhielt er ein Hofratspatent und eine Ehrenpromotion der Marburger Universität für seine archäologischen Arbeiten (1819).(19)

1820 kam Dorows Stunde, als Hardenberg die Einrichtung eines "Antiquitäten-Kabinetts für die Rheinisch-Westphälischen Provinzen" verfügte und Dorow sofort als dessen Dirigenten einsetzte.(20) Das heutige "Rheinische Landesmuseum Bonn" geht auf die Gründung des "Museums für Rheinische und Westphälische Alterthümer" zurück,(21) die verbunden war mit der Bildung einer staatlichen Altertümerverwaltung.

Abb. 3: Morgenländische Alterthümer, I. Heft (click-zoom)

Im gleichen Jahr erschien in Wiesbaden das erste Heft der "Morgenländischen Alterthümer,"(22) welches Dorow umgehend an Goethe in Weimar sandte (7. März).(23) Beigelegt hatte Dorow die Kopie eines in der Schrift - neben anderem - behandelten und abgebildeten Zylinder-Siegels aus seiner Sammlung. Goethe bedankte sich und versicherte in seinem Antwortschreiben vom 19. April 1820: "... der Schwefelguß Ihres höchst schätzbaren Cylinders hat mich in den Stand gesetzt, mit desto mehr Interesse den Aufsatz selbst zu lesen, denn gerade bey solchen Dingen ist eine Nachzeichnung besonders schwer."(24)

Schon im März 1820 hatte Goethe in einem Schreiben an Sulpiz Boisserée von der Dorowschen Gabe berichtet: "... der wunderliche, mir nicht ganz erklärliche Dorow. Er hat mir einen Schwefelabguß eines persischen cylindrischen Talismans gesendet, den er auch in seinen morgenländischen Alterthümern abgebildet und commentirt hat. Wenn man jene Zeit und Weise gelten läßt, so muß man auch dieses Werk in's Besondere für bedeutend und fürtrefflich halten. Das Lobenswürdige daran erscheint freylich nicht in der Nachbildung, wo für lauter Detail gar nichts zur Anschauung kommt."(25)

Wie gelegentlich in anderen Fällen "morgenländischer" Altertümer schimmert auch hier bei Goethe jene Skepsis gegenüber orientalischen Kunstwerken hervor, die im Falle östlicher Poesie nicht galt. Dennoch ist das Urteil hier milde, ja durchaus interessiert, und dem Gegenstande zugeneigt.

Worum handelte es sich nun bei diesem "höchst schätzbaren Cylinder"? In ihm besaß Dorow ein ganz bedeutendes Werk altorientalischer Kleinkunst, freilich ohne daß er, wie auch Georg Friedrich Grotefend,(26) sein Freund und Mitverfasser der erwähnten Schrift, damals die Bedeutung des Stückes wirklich ermessen konnten.

Abb. 4: Siegel des Urzana (nach Dorow) (click-zoom)

Das 4,85 cm mal 2,2 cm große, qualitätvoll geschnittene Siegel aus Chalzedon bildet einen vierflügeligen Genius als Tierbezwinger zwischen zwei Straußen ab.(27) Außerdem trägt es eine Keilinschrift, welche lautet: "Seal of Urzana, king of Musasir, a city of Urartu, of which, like a snake in hostile mountains, the mouth is open."(28) Die Inschrift macht, wie man heute weiß, den historischen Wert des Stückes aus; Musasir war eine Stadt im Spannungsfeld zwischen Urartu und Assyrien, der König Urzana ein Zeitgenosse des Assyrers Sargon II.(29), und ein berühmtes Palastrelief aus Sargons Stadt Dur-Šarrukin/Khorsabad zeigt, wie des letzteren Truppen den Tempel von Musasir plündern(30). All das kann uns aber hier nicht weiter beschäftigen.

Dorows Siegel befindet sich heute im Koninklijk Penningkabinet in Leiden, der staatlichen Münzsammlung der Niederlande, vormals das Cabinet Royal des Médailles in Den Haag (bis 1986). Im Jahre 1825 hatte Dorow sein Siegel hierher verkauft.(31) Erworben hingegen hatte er es durch Vermittlung von G. C. Braun in Mainz aus dem Nachlaß des österreichischen Botschafters in Istanbul, dem Grafen Joseph von Schwachheim.(32) Leider wird diese Geschichte in der jüngsten ausführlichen Publikation des Siegels so verkürzt wiedergegeben, daß der Leser fälschlich glauben muß, es sei von Schwachheim direkt nach Den Haag gelangt.(33)

In Dorows Buch sind noch zwei weitere "Inkunabeln" der vorderasiatischen Siegelkunde zu finden, ein Zylinder des Ur-Nammu (British Museum 89126)(34) und ein Siegel des Rimanni-ili (Museum Florenz 14385)(35), über die Grotefend in seinem Beitrag handelt.(36)

Bevor wir das erste Heft der "Morgenländischen Alterthümer" verlassen, soll wenigstens noch kurz der im Titel verheißungsvoll angekündigten "alten tibetanischen Handschrift in schönen Utschen-Charakteren" gedacht werden.(37) Das Manuskriptblatt ist sehr sorgfältig faksimiliert und in Originalgröße beigegeben worden.(38) In den Besitz von Dorow kam das Blatt zusammen mit dem Urzana-Zylinder aus der Istanbuler Sammlung des Grafen J. v. Schwachheim.(39) Dorows Erörterungen - die hier nicht zu kommentieren sind(40) - schließen mit einer Ode an den Gelehrten Alexander von Humboldt; er möge "...bald seinen Vorsatz ausführen, und die Reise nach dem für uns noch völlig unbekannten Tibet unternehmen...," - "...der Wiege des Menschengeschlechts..."(41) Diese Äußerungen werden erst verständlich, wenn man von 1819-1820 zurück ins Jahr 1811 schaut. Damals, wir erwähnten es, reiste Dorow aus Königsberg nach Mitteldeutschland und ins Rheinland. In Koblenz lernte er auch Johann Joseph v. Görres kennen und begeisterte sich für eine von Alexander von Humboldt geplante Reise nach Persien und Tibet. Görres riet Dorow, sich in Heidelberg "...die persische Sprache vorzunehmen. Kaufen Sie sich Wilken's Grammatik und fangen Sie gleich an Wörter auswendig zu lernen."(42) Der enthusiastische Dorow schrieb sogleich an Goethe und Reichardt, von denen er sich allerdings eine gehörige Abfuhr einhandelte.(43)

Im Dezember 1820 hatte Dorow das zweite Heft der "Morgenländischen Alterthümer" fertiggestellt; es erschien im darauffolgenden Jahr.(44) Wird schon der Vorgänger in der wissenschaftsgeschichtlichen Literatur zur vorderasiatischen Glyptik nicht eben häufig erwähnt, so scheint das zweite Stück diesbezüglich fast völlig in Vergessenheit geraten zu sein,(45) obgleich die Siegeldiskussionen hier durchaus fortgesetzt werden (z. B. von G. F. Grotefend und J. v. Hammer-Purgstall).(46) Grotefend handelt in diesem Band außerdem über die Kyros-Inschrift und das vorgebliche Kyros-Bild von Pasargadae ("Murghab"),(47) und er betätigt sich, was bei dem Entzifferer der Keilschrift besonders überrascht, als Interpret eines indischen Kunstwerkes.

Abb. 5: Miniatur aus Dorows Besitz (click-zoom)

Bei letzterem handelt es sich um eine außerordentlich qualitätvolle Miniatur, die Dorow bereits 1806 - also mit 16 Jahren - in Königsberg erhalten hatte.(48) Wie der Urzana-Zylinder blieb auch dieses Bild glücklicherweise erhalten; es gelangte ins Berliner Indische Museum (MIK I 5220).(49) Außer Dorow und Grotefend(50) äußerten sich auch August Wilhelm von Schlegel(51) sowie, in einem umfangreichen Beitrag, Niklas Müller(52) zu dem Bild.

Wichtige Erwerbserfolge für das Bonner Museum (genannt sei hier nur der berühmte römische Grabstein des Caelius(53)) und für die damaligen Verhältnisse sehr professionelle Grabungs- und Dokumentationsmethoden zeichneten Dorows Tätigkeit im Rheinland aus.(54) Dennoch endete seine dortige Tätigkeit schon 1822, nachdem das Interesse Hardenbergs erlahmt und der Museumsleiter in die Mühlen Bonner professoraler Mißgunst geraten war.(55) Dorow kehrte zurück in den diplomatischen Dienst; sein Gönner Hardenberg allerdings starb noch im gleichen Jahr. Im Jahre 1824 ließ sich Dorow pensionieren.(56)

Nach erneuten Grabungen als Privatier bei Neuwied und Niederbieber(57) unternahm Dorow 1827 eine Italienreise, die vom preußischen Staat finanziert wurde.(58) Dorow hatte bereits 1825 Kontakt mit der Kurie aufgenommen, was ihm Silvester 1827 eine Audienz bei Papst Leo XII ermöglichte.(59)

Abb. 6: Palin, Thorvaldsen und Dorow in Rom, 1828 (click-zoom)

Er beteiligte sich hier insbesondere an der Erforschung etruskischer Altertümer und pflegte einen regen gesellschaftlichen Umgang, etwa mit Nils Gustaf Palin, einem schwedischen Ägyptenforscher und Antiquitätensammler, sowie dem dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770-1844).(60) Grabungen, emsige Sammel- und Kaufaktivitäten führten dazu, daß Dorow bald eine sehr große Kollektion etruskischer und anderer italischer Keramik wie auch Gemmen und Skarabäen(61) sein eigen nennen konnte. Schon im Mai 1828 berichtete er Goethe brieflich aus Rom von über 200 zusammengetragenen Vasen.(62) Wie Adolf Furtwängler schreibt, wurde Dorow 1827 durch August Kestner(63) und Otto Magnus von Stackelberg(64) auf die Gräber von Corneto aufmerksam. Im Frühjahr 1828 tauchten dann infolge illegaler Ausgrabungen in den Besitztümern von Lucien Bonaparte, dem Prinzen von Canino, Funde aus der Nekropole von Vulci auf, die Dorow ankaufte. Hinzu kamen Bucchero-Gefäße aus Chiusi und Sarteano.(65)

Dorows Italienreise dauerte bis zum März 1829.(66) Mit einem Brief übersandte er Goethe am 29. April 1829 seine Schrift "Etrurien und der Orient,"(67) "...welche Raoul Rochette(68) über meine Ausgrabungen in Italien, im National Institut vorgelesen hat. Dass bei so unerwartetem Glück, wie es dem Nordländer im Süden geworden, der Neid, Verläumdung und Verfolgung wach wurden und mit giftigem Zahn nachstürmten, will ich gern verzeihen" (Brief vom 17. Oktober 1829).(69)

Die hier anklingenden Ärgernisse werden auch im Antwortschreiben Goethes deutlich: "Dabey kann ich aber mein Leidwesen nicht verbergen, daß zwischen den Männern, welche sich jetzt mit so angenehmen als wichtigen Gegenständen beschäftigen, eine Art von Widerwürdigkeit hervortritt, und zwar eine solche, wie sie nicht blos aus Verschiedenheit der Meynung zu entstehen pflegt, sondern welche sogar die Sittlichkeit der Betheiligten verdächtig macht. Plagiate, Präoccupationen, Übereilung, Unwissenheit, oberflächliche Behandlung, bösen Willen, und wie der Unfug alles heißen mag, wirft man sich einander vor..."(70)

Dorow war in Italien natürlich auch auf ihm weniger wohlgesonnene Zeitgenossen gestoßen; namentlich Eduard Gerhard, einer der Begründer des Deutschen Archäologischen Instituts, trat gegenüber Dorow "...bald in das naturgemässe Verhältniss einer entschiedenen Feindschaft."(71) Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß hier Bonner Nachwehen wirkten, insbesondere, wenn Dorow der "wissenschaftlichen Unfähigkeit" geziehen wird.(72) Außerdem spielten offenbar die guten Beziehungen Dorows zu Raoul Rochette eine Rolle, der ein Intimfeind Stackelbergs und Gerhards war.(73)

Stolz stellt Dorow in mehreren Schriften seine Mitgliedschaft in zahlreichen gelehrten Gesellschaften vor, was ihm offensichtlich eine gewisse Kompensation zur verwehrten Anerkennung durch deutsche Universitätsgelehrte verschaffte.(74) Besonders interessant ist eine dieser Mitgliedschaften, und zwar in der "Societé asiatique" zu Paris, die als erste ihrer Art in Europa gegründet worden war (1822). Dorow wurde am 8. Dezember 1828 Mitglied der Gesellschaft.(75) Das Ereignis erklärt sich durch seine guten Beziehungen zu dem in Paris lebenden Orientalisten Julius Klaproth (1783-1835)(76), mit dem er gemeinsam Palins(77) Sammlung ägyptischer Altertümer, ergänzt durch Stücke von Giuseppe Passalacqua (1797-1865) herausgab(78). Zugleich beteiligte sich Dorow zusammen mit Klaproth und Gustav Seyffarth(79) an deren Attacken gegen die Entzifferungsarbeiten des Ägyptologen Jean-François Champollion.(80)

Im Jahre 1829 wurde Wilhelm Dorow endgültig Hallenser.(81) Über seine hallische Zeit weiß man nur wenig. Dorows archäologisch-antiquarische und orientalische Interessen(82) traten nun zurück gegenüber biographischen und zeitgeschichtlich-historischen Arbeiten,(83) die durchaus Anerkennung fanden.(84)

Einmal allerdings kam Dorow auch in Halle noch auf die Archäologie zurück, was dazu führte, daß sein Name assoziiert ist mit einem der bedeutendsten Exponate des hallischen Landesmuseum für Vorgeschichte: Dabei handelt es sich um die Steinkammer eines schnurkeramisch-neolithischen Grabes, welches 1750 bei Göhlitzsch (heute ein Stadtteil von Leuna) entdeckt worden war. Dorow studierte die im Schloßpark zu Merseburg ausgestellte Steinkiste, und er widmete den ritzverzierten Platten des Grabes eine Schrift "Altes Grab eines Heerführers unter Attila (...),"(85) die, dem Kenntnisstand der Zeit gemäß, mit ihrer Identifizierung weit neben der jetzt bekannten Zuordnung liegen mußte.(86)

Auch in seiner hallischen Zeit pflegte Dorow eine ausdauernde Korrespondenz. Er reiste weiterhin, vornehmlich nach Berlin, wo er eine zweite Wohnung hatte. Hier, im Zentrum des Austausches gesellschaftlicher Nachrichten, besprach er sich häufig mit Karl August Varnhagen von Ense(87). Als Varnhagen im Dezember 1845 aus Halle die Nachricht vom Tode Dorows erhielt, vermerkte er in seinem Tagebuch: "Es ist ihm lebenslang schlecht ergangen, und zum Theil nur verschuldete er es; er hinterläßt wenige Freunde und zahllose bittre Feinde. Ich half ihm gern, aber liebte ihn nicht."(88)

Ärgernisse um Dorows Person gab es bis über seinen Tod hinaus. Sein hallischer Nachlaß, der von seiner Schwester(89) an den preußischen König verkauft worden war, enthielt offensichtlich peinliche Unterlagen. König Friedrich Wilhelm IV. scheint persönlich involviert gewesen zu sein; es kam zu Haussuchungen und Befragungen.(90) Vielleicht liegt in den Bemühungen des preußischen Königs, der Dorowschen Papiere habhaft zu werden, eine der Ursachen dafür, daß man heute über Dorow so wenig weiß.

Am Ende dieser Marginalien soll noch einmal kurz auf Wilhelm Dorows Verhältnis zum Orient eingegangen werden. Offenbar hatte er sich schon als Jugendlicher für Orientalia interessiert, wie das Beispiel der indischen Miniatur andeutet, die er im Alter von 16 Jahren erhielt. Und schon vor der Zeit der Befreiungskriege, mit wenig mehr als 20 Jahren, träumte Dorow von Reisen nach Persien und Tibet. Möglicherweise wurde er recht früh mit Joseph von Hammer-Purgstalls "Fundgruben des Orients"(91) bekannt. Ich halte es für denkbar, daß die "Fundgruben" eine Art Vorbild für Dorows "Morgenländische Alterthümer" abgegeben haben.(92) Vielleicht auch führten erstere, ganz gewiß aber die Lektüre von Goethes "Diwan", dessen Verse über den "Talisman in Carneol" Dorow als Motto wählte, zu den altorientalischen Siegelsteinen hin und darüber hinaus.

 

Copyright of text by Markus Mode. This is an online reprint. Printed version appeared in 2004. All rights reserved. No part of the text may be reproduced, in any form or by any means, without permission of the author.

 

  
update: 2005-09-13
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